Auch die beste Planung kann auf unerwartete Herausforderungen stoßen – das wissen wir aus langjähriger Erfahrung. Doch was wirklich zählt, ist, wie man mit diesen Situationen umgeht:
Seit über 25 Jahren schaue ich jeden Tag in meinem Büro auf einen Klöpperboden. Das uns ausgerechnet bei einem solchen Teil ein Rechenfehler unterlaufen ist, nagt etwas am eigenen Ego. Aber wenn ich eines sehr früh begriffen habe, ist es das: Die einzige Möglichkeit, keinen Fehler zu machen, ist nichts zu tun.
Damit Sie nicht in die gleiche Falle laufen, wie wir, möchte ich Sie gerne an einem unserer Lernprozesse teilhaben lassen.
Große Behälter, die in der Verfahrenstechnik für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt werden, unterliegen vielfältigen Lasten wie Innendruck, Eigengewicht, weiteren Betriebslasten, Erdbeben, Schwingungen und was auch immer. In bestimmten Fällen, wenn z.B. ein Behälter gereinigt wird, kann im Behälter auch Unterdruck auftreten.
Dann ist, ähnlich wie beim Knicken eines Stabes, auf den eine zu große Druckkraft wirkt, das Versagen durch ein instabiles Verhalten gegeben. Der Behälter beult!
Bei einem Stab, z.B. einem Spazierstock, auf dem sich ein leichtgewichtiger Mann mit grazilen 140 kg abstützt, kann durchaus der Querschnitt ausreichend sein, so dass die Spannungen noch weit im zulässigen Bereich des Holzes liegen. Nach s=F/A bleibt die Spannung, egal wie lang der Stab auch ist, konstant. Überschreitet der Stab aber eine gewisse Länge bei konstant bleibender Druckkraft, knickt das Ding seitlich aus und auch der Stock macht nicht mehr das, was er soll (die Füße unserer Grazie entlasten), sondern er knickt weg.
Die Last, bei der das passiert, nennt man Eulersche Knicklast und kann man nach den einschlägigen Formeln leicht berechnen. Das Verhältnis Knicklast zur tatsächlichen Last nennt man Knickfaktor. Dieser sollte, multipliziert mit einem Angstfaktor, dem sogenannten Sicherheitsbeiwert, größer als 1 sein.
Stellen Sie sich vor, dass in einer geschlossenen Blechkonservenbüchse die Luft evakuiert, also einfach herausgezogen wird. Dadurch entsteht ein Unterdruck gegenüber der Umgebung. Im Extremfall entsteht ein Vakuum, der Differenzdruck zwischen innen und außen kann also maximal der Umgebungsdruck sein. Ist die Blechdicke zu gering, fängt die Dose an zu beulen und kollabiert irgendwann wie ein Gefrierbeutel, aus dem man die Luft zieht.
Da niemand einen zusammengefalteten Behälter haben möchte, da dieser dann seine Funktion, nämlich etwas aufzunehmen, nicht mehr leisten kann, muss dieser Lastfall abgeprüft werden. Dies kann man entweder über einen Versuch oder rechnerisch durch eine analytische Berechnung oder durch eine Finite-Elemente-Berechnung nachweisen. Macht dann Sinn, wenn der Behälter Flanschanschlüsse, Fußanbindungen usw. besitzt, die sich der Analytik nicht mehr erschließen.
Analog zum Knickfaktor gibt es also Beulfaktoren und dazugehörige Beulformen, von denen der kleinste Wert interessiert, da dann die Dose beginnt, zumindest lokal instabil zu werden.
Damit Sie sich das besser vorstellen können, ist in Bild 1 ein Bauteil eines Schwimmers aus vergangenen Jahrzenten aus unserem Projektschaukasten dargestellt, der für die Füllstandsanzeige in Hochdrucktanks verwendet wird. Damit er schwimmt, ist er innen hohl und möglichst leicht. Bei hohem Außendruck kommt es aber sehr schnell zu einer Überlast, er beult und faltet sich zusammen. Was hier auffällt: Die Endkappen sind stabil. Der Mantel beult zuerst.
Rechnerisch betrachtet, wird hier eine nichtlineare FEM-Berechnung durchgeführt, bei der der Innendruck schrittweise immer weiter gesenkt wird, bis eben dieser Kollaps auftritt. Das Materialverhalten kann im Modell auch elastoplastisch beschrieben werden, tut aber nichts weiter zur Sache, da die Spannungen unter der Dehngrenze liegen. Auch Imperfektionen lassen sich hier betrachten, da ein Behälter niemals exakt und gleichmäßig gefertigt ist. Eine Kette reißt eben immer am schwächsten Glied.
Die Norm, in diesem Fall die amerikanische Norm ASME (American Society of Mechanical Engineers), schreibt dabei die erforderliche Beulsicherheit für verschiedene Komponenten eines Behälters vor.
Diese Information befand sich jedoch auf einer anderen Seite der Norm und wurde in der ersten Berechnung übersehen. Der Nachweis schien zunächst erbracht, doch später stellte sich heraus, dass der Wert nicht korrekt berücksichtigt wurde.
Unglücklich, wenn der Behälter bereits in USA steht und kurz vor der Inbetriebnahme steht.
Daher haben wir sofort reagiert: es wurde eine zusätzliche Verrippungen entwickelt, die der Kunde vor Ort in den USA auf den Behälter schweißen ließ. Unsere Ingenieure und Partner arbeiteten Hand in Hand, um eine gute Lösung bereitzustellen – die direkt vor Ort und unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden konnte. Interessant ist, dass die Kosten für einen Klöpperboden mit größerer Wanddicke teurer war, als der dünnere Boden mit Verrippung. Gut zu wissen für das nächste Mal.
Interessant war damit die Erkenntnis, dass diese Lösung nicht nur effizient, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft war. Die Kombination aus unserem technischen Know-how und unserer Entschlossenheit hat es uns ermöglicht, das Projekt erfolgreich abzuschließen.
Für diese Lektion haben wir reichlich Lehrgeld bezahlen müssen, sind uns aber sehr sicher, dass dieser Fehler, den vermutlich Generationen von Berechnungsingenieuren schon vorher gemacht haben und der bisher niemand aufgefallen ist, uns sicherlich nie wieder passiert.
Dass wir diesen Faktor als stark überhöht empfinden, da in aller Regel der Mantel vorher kollabiert (siehe das Schwimmerbeispiel) ist nur ein geringer Trost.
Dieser Vorfall hat uns erneut gezeigt, wie wichtig es ist, jede Herausforderung als Chance zu begreifen.
Damit wir auch andere Ingenieure und Techniker auf diese potenzielle Stolperfalle aufmerksam machen können, möchte ich unsere Erfahrung hier teilen.
Im vorliegenden Fall zeige ich Ihnen, wo ein Fallstrick vorhanden ist:
Die Norm ASME VIII Div. 2 (2015) gibt die Beulfaktoren vor:
Also für den Zylindermantel gilt der kritische Faktor 0,8.
Auf der nächsten Seite steht dann aber zusammenhangslos
für den Klöpperboden ein wesentlich kleinerer Wert von 0,124.
Da dieser Wert als Kehrwert in die erforderliche Beulsicherheit eingeht, wird aus einem erforderlichen zulässigen Beulfaktor von 2,5 beim Mantel ein Wert von 16,1 beim Klöpperboden. Dieser Wert ist für eine linearelastische Beuluntersuchung gültig.
Dies ist dann gerechtfertigt, wenn das Verhältnis zwischen Höhe und Durchmesser des Behälters sehr klein wird. Sonst beult der Mantel wesentlich früher aus (siehe Bild 1).
Damit Sie ein Gespür dafür bekommen, wie ein FE-Modell und die Beulanalysen aussehen können, folgende kleine Studie:
Alle Berechnungsverfahren können zur Dimensionierung herangezogen werden. Hier sind die Sicherheitsfaktoren unterschiedlich. Je genauer die Berechnung, desto niedriger kann der zulässige Beulwert gewählt werden.
Falls Sie sich mit komplexen Anforderungen oder Normen, wie ASME VIII Div. 2 (2015) auseinandersetzen müssen, unterstützen wir Sie gerne. Sprechen Sie uns an – wir sind für Sie da, von der ersten Berechnung bis zur finalen Umsetzung.
Für Fragen und Anmerkungen stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.
Ihr Stefan Merkle
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